Handspiel
Vielleicht bin ich nur ein Ignorant. Andererseits macht es einem die Programmgestaltung der Fernsehsender verhältnismässig einfach von der WM im eigenen Land nichts mitzubekommen. Umso erstaunlicher wie das dank dem guten Abschneiden der Deutschen Nationalsechs rasch herbeigeschriebene 'Wintermärchen' von uns Öffentlichkeit dann doch als der logische Fortsatz des abrupt zu Ende gegangenen Fußballmärchens aus dem Sommer antizipiert wird. Als ich gestern jedenfalls pünktlich um kurz vor sieben meinem Lieblingstresenplatz in der Lieblingsfußballkneipe entgegenstrebte fand ich diese voll gepackt und ausgelassen wie zuzletzt im Juni. Häh? Anpfiff is doch ernst inner Stunde? Der Blick in die Runde verrät: nicht viel neues, fast ausschließlich die bekannten Gesichter der Freunde des englischen Proletariersports. Der Blick auf die Mattscheibe zeigt: Ball zu klein, Tor viel zu klein, ein astronomisch hoher Spielstand: das kann kein Fuß-, das muss Handball sein! So habe ich dann meine ersten Fernsehminuten dieser Handball-WM erlebt, und das gleich im Rahmen einer neudeutsch dem 'Public Viewing' zuzuordnenden Veranstaltung. Mit der Schlusssirene bricht unermesslicher Jubel los. Bei der echten WM wären wir jetzt alle vor die Tür gegangen und hätten in der Abendsonne gefachsimpelt. Aber draussen ist es kalt, dunkel und zum Fachsimpeln fehlt es uns Vollbluteintrachtlern ohne Ausnahme an Handballfachverstand. Allgemeiner Tenor: "Ei, interessiert mich doch gar net. War bei Olympia aber auch schon cool zum gucken." Einer geht dann doch nach draußen, es ist der einzige, er geht allein und verabschiedet sich mit den Worten: 'Seht ihr, da ist doch viel mehr los als in so einem Fußballspiel!" Immerhin wird so mein Tresenplatz frei. Erleichtert nehme ich Platz und fange an mir Gedanken zu machen, wie der künstlich überhöhte Adrenalinspiegel mit dem Auswärtsspiel in Wolfsburg klarkommen wird. Nach acht Spielminuten geht VW in Führung, die WM-Stimmung kippt, das gewohnte Klangbild aus bitteren Lamentos und kleinen Pöbeleien stellt sich ein, alles beim alten. Als wir in der 2. Hälfte auch noch völlig unverdient in Führung gehen übertrifft der Fuß die Hand auf der nach oben offenen Euphorieskala mühelos, die Verhältnisse der Volkssportbegeisterung scheinen wieder gerade gerückt. Wir sprächen hier aber nicht von der Eintracht, hätte es ein letztes Zucken des Handballgottes Mike Hanke nicht ermöglicht kurz vor Spielende, einem Kreisläufer gleich, aus zentraler Position freistehend einzunetzen, während sich unsere Abwehrspieler elliptisch um dem Elfmeterpunkt stehend versammelt hatten, als gelte es den Torraum vor Henning Fritz abzudecken. Nehmen wir das als eine Mahnung. Der Handball spukt weiter. Mindestens bis zum Endspiel am Sonntag. Handle with care!
frankfurterniveau - 31. Jan, 12:52